position 54°24,9‘n, 10°15,3‘e
kystenbewohnerin birgit rautenberg-sturm
Kieler Nachrichten, 16. Januar 1999
Auf der Kante balanciert
Verschlüsselte Gefühle: die "Küstenbewohnerin" Birgit Rautenberg-Sturm
Sie wohnt an der Steilküste, "gegenüber Von Kiel-Leuchtturm, und außer dem An und Aus seiner Kennung passiert
hier gar nichts." Was manchen Menschen vielleicht in den Trübsinn treiben würde, ist für die leidenschaftliche Seglerin
Birgit Rautenberg-Sturm pures Lebenselixier und künstlerisches Programm. "Küstenbewohnerin" nennt sie ihre
Ausstellung mit Druckgraphik, die am Donnerstag in der Galerie irn Lutterbeker eröffnet wurde. Eine meterhohe
Pricke, jenes Seezeichen, das wie ein alter Reisigbesen aussieht, ist darunter. Den filigran gezeichneten Linolschnitt
druckte die gebürtige Bremerin ob seiner Größe mithilfe einer Straßenwalze zuhause auf der Autoauffahrt. Für sie "ein
kleines Abenteuer, eine Grenzüberschreitung im technischen wie im übertragenen Sinne". Dem Gegenständlichen ist
auch eine kleine Reihe von Arbeiten verpflichtet. Die Drucke sind in Erinnerung an die Tänzerin, Schauspielerin und
Kabarettistin Valeska Gert enstanden, deren Todestag sich in diesem Jahr zum 20. Male jährt. Birgit Rautenberg-
Sturm bezeichnet sie als "Power-Frau, die als Mitbegründerin des Modernen Ausdruckstanzes als Grenzwandlerin
galt" - letzteres vielleicht ein Vergleichsmoment mit der Küstenbewohnerin, "die auch irgendwie auf der Kante
balanciert".
In den expressiven Bewegungsstudien deutet sich bereits eine Tendenz zur Reduktion an, die die Autodidaktin in
neuesten Arbeiten weiterentwickelt hat. Zeichenhaft ist ihre Bildsprache, piktogrammartige Figuren lassen an
Höhlenzeichnungen denken. "Ich bin zufrieden, wenn sich die Formen mehr und mehr zusammenpressen lassen,
ohne daß die Inhalte darunter leiden," sagt die Künstlerin, die ihre Gedanken und Gefühle in ihrer Kunst auf
verschlüsselte Weise zum Ausdruck bringt. Klare geometrische Formen und Körper in wuchtigem Schwarz und
leuchtendem Rot heben sich ab von reinweißem Grund, einseitig verwischt erscheinen strenge, schwarze
Senkrechten, die das zarte Gelb, Blaugrau und Rot des Blattgrundes vertikal zer-schneiden. Ein spezielles
Druckverfahren läßt die Farben besonders intensiv hervorteten. Der Kommentar der Künstlerin: "Satte schwarze
Flächen finde ich einfach klasse!"
SABINE THOLUND
Zu sehen in der Galerie im Lutterbeker bis zum 14. Februar 1999.
presse